Wanted: Schlafplatz für eine Nacht

Der Besuch eines Bergstamm-Dorfes in Nordthailand kommt uns ein bisschen vor wie eine Zeitreise. Eine Reise um gefühlte Jahrhunderte zurück, vielleicht ein bisschen wie ein Besuch im Freilandmuseum. Wo die Schweine, Rinder und Hühner fester Bestandteil des Lebens sind und sich rings um und unter den Pfahlbauten tummeln. Wo es keine befestigten Straßen und Wege gibt, nur gestampfte Erde. Wo noch auf offenem Feuer gekocht wird, das Klo ein Bretterverschlag ist und die Nacht so schwarz und sternenklar über einen hineinbricht, dass einem der Mund offen stehenbleibt. Wo es aber immerhin elektrischen Strom, Handys, Fernseher und Mopeds gibt. Eine Welt, in die wir für einen kurzen Augenblick eintauchen und die wir doch nie wirklich verstehen werden.

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Aber fangen wir von vorne an. Dass man in Nordthailand geführte Touren zu abgeschiedenen Bergstämmen machen kann, ist im Grunde nichts Ungewöhnliches und vermarktet sich mittlerweile sogar schon als Touristenattraktion. Wir wollen allerdings auf eigene Faust los, haben also keinen Guide, lediglich einen kleinen handgeschriebenen Zettel. Auf dem wohl so was steht wie „Diese Touristen suchen eine Bleibe für eine Nacht“. Den Zettel gibt uns Ame mit auf den Weg, die Ehefrau von Rudi, der vor vielen Jahren von Deutschland nach Thailand ausgewandert ist. Die beiden betreiben im Dörfchen Ban Nam Rin im Norden Thailands eine hübsche Lodge. Und haben wohl schon so manchen ihrer Gäste eine Wanderung mit Übernachtungseinlage per Zettel-Taktik vorgeschlagen – aber so häufig scheint es dann auch wieder nicht dazu zu kommen. Ame ist keine Thai, sondern eine Lisu, d.h. Angehörige eines der zahlreichen Bergstämme dieser Region. Diese sogenannten „hilltribes“ wanderten in den letzten 150 Jahren nach Thailand ein, die meisten von ihnen aus Südchina, Myanmar und Tibet. Auch in Laos, Vietnam, Kambodscha und Myanmar sind sie verbreitet. Als ethnische Minderheiten besitzen sie ihre eigenen, einzigartigen Kulturen und Traditionen und nur selten die thailändische Staatsbürgerschaft.

Unsere Wanderung wird uns nach Manora führen, einem Dorf des Bergstammes der Karen. Zusammen mit dem Berliner Maxime, dem wir überhaupt erst die Adresse von Ame und Rudi zu verdanken haben, legen wir schweißtreibende 16 Kilometer zurück und kommen schließlich am späten Nachmittag an unserem Ziel an. Wir sind alle schon ein wenig aufgeregt und sehr gespannt, wo wir wohl die kommende Nacht verbringen würden. In der Schule am Ortseingang wird uns weitergeholfen, der Englischlehrer macht unsere Übernachtung klar.

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Als wir schließlich unsere Füße in das düstere, hölzerne Pfahlhaus unserer Gastgeber setzen, kommen wir uns dann doch ein bisschen wie Eindringlinge vor. Wie sich später herausstellen sollte, sind es die über 70-jährigen Eltern des Bürgermeisters. Und: Sie verstehen weder Thai noch Englisch, noch irgendeine andere als die eigene Stammessprache. Wir müssen uns mit Händen und Füßen verständigen und versuchen uns mit unbeholfenem Lächeln erkenntlich zu zeigen. Unser Nachtlager wurde im spärlich möblierten Wohnzimmer für uns hergerichtet – ausgerechnet dem Durchgangszimmer zum Schlafgemach der beiden. Die Frau, die wohl krank zu sein scheint, schläft dort bereits bei unserer Ankunft und schleicht an diesem Abend mehrfach schwer stöhnend an unserem Lager vorbei. Uns ist allen etwas unwohl zumute.

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Doch unser irgendwie putzig zwergenhaft aussehender Gastvater ist jedenfalls redlich bemüht, unsere hungrigen Mägen zu füllen und bewirtet uns mit etlichen Laden Reis und Kürbissuppe (selbst nachdem wir mit allen möglichen Gesten beteuern, wirklich satt zu sein, kommt immer wieder Nachschlag), dazu gibt es grünen Tee aus einer uralt wirkenden rußigen Teekanne. Uns schmeckt es ganz fabelhaft, doch sind wir alle ein wenig enttäuscht, dass wir den ganzen Abend für uns bleiben. So bleiben wir doch nur Übernachtungsgäste, die Fragen über Fragen loswerden wollen. Aber dazu würde es noch Gelegenheit geben…

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Am nächsten Morgen sitzen wir immerhin mit den beiden älteren Leuten auf dem Boden in der Küche und lassen nicht ohne schlechtes Gewissen unsere acht (!) Wasserflaschen mit abgekochtem Wasser befüllen – eine rauchig schmeckende Plörre, aber unverzichtbar für unseren Rückweg. Weil uns die Plörre dann doch zu eklig wird und wir unterwegs an weiteren Dörfern vorbeikommen, beschließen wir, einen Laden zu suchen und stoßen zufällig auf einen freundlichen, der englischen Sprache mächtigen Novizen, der uns in das nächste Dorf führt und dann tatsächlich Einlass in eines der Häuser verschafft. So sitzen wir schließlich mit unserem privaten Dolmetscher im einzigen Raum eines Pfahlhauses und können unser Glück kaum fassen.

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Auch hier flackert ein offenes Feuer, und die im Raum versammelten Menschen (es werden immer mehr) sind unglaublich gastfreundlich, neugierig und regelrecht lustig. Wir tauschen unsere Namen aus, befragen uns nach unserem Alter (ein großer Spaßfaktor!), erfahren, dass die Menschen im Dorf Selbstversorger sind und dass Männer und Frauen ihre Partner frei wählen können. Natürlich ist unsere Kommunikation recht holprig und nicht frei von Missverständnissen („Was, in Deutschland scheint nie die Sonne?“) – aber das macht es nur umso lustiger.

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Nur schwer können wir uns von diesem liebenswerten Völkchen trennen, aber wir müssen zusehen, dass wir noch vor Anbruch der Dunkelheit bei Ame und Rudi ankommen. Das schaffen wir schließlich mit Ach und Krach – erschöpft, aber voller Eindrücke dieser wunderbaren Begegnungen, die wohl noch lange in uns nachhallen werden.

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(Christine)

1 thoughts on “Wanted: Schlafplatz für eine Nacht

  1. Wow, was für ein Erlebnis! Weit weg von Touristenpfaden das wirkliche Leben der Nord Thais – sorry der Karen – kennen lernen und dies sogar mit Übernachtung in einem Pfahlhaus. Wer kann das von sich schon in unserer westlichen Welt behaupten?!

    Ich wünsche euch für heute einen schönen 1. Advent, bleibt alle gesund!

    Sylvia Borschke.

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